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Bedrohte Religionsfreiheit

Interview des Tages - Über Religionsfreiheit sprechen wir mit Frank Schwabe. Er ist Bundestagsabgeordneter (SPD) und Beauftragter der Bundesregierung für die weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit.

Heute ist der "Internationale Tag zum Gedenken an die Opfer von Gewalttaten aus Gründen der Religion oder des Glaubens". Mit dem Gedenktag soll die Aufmerksamkeit auf die wachsende Zahl der Menschen gerichtet werden, die unter religiöser Verfolgung leiden. Denn um die Religionsfreiheit in der Welt ist es nicht gut bestellt: Diskriminierung, Verfolgung und Gewalt sind in einem Drittel aller Länder der Welt an der Tagesordnung. Besonders im nahen Osten, in Afrika sowie großen asiatischen Ländern wie Indien und China sind fast zwei Drittel der Weltbevölkerung (4,9 Mrd.) davon betroffen.

Unser Gast im Interview ist Frank Schwabe. Er ist Mitglied des Bundestags in der SPD-Fraktion und Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Als Obmann steht er dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag vor und ist Ratsmitglied der Stadt Castrop-Rauxel bei Recklingshausen. 

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Bedrohte Religionsfreiheit

Interview des Tages um 08:15 Uhr mit Moderator Johannes Wieczorek und Frank Schwabe, Beauftragter der Bundesregierung für die weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Sendung verpasst? In unserem Podcast Interview des Tages können Sie die Sendung nachhören, downloaden und teilen.

radio horeb Herr Schwabe, laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2018 betrachten nur 54 % der Deutschen die Religionsfreiheit als sehr oder äußerst wichtig. Für die Menschenrechte allgemein trifft dies auf 77 % zu. Ist die Religionsfreiheit ein Menschenrecht zweiter Klasse?

Frank Schwabe Ist sie nicht. Es ist so: Das passiert mir natürlich auch häufiger, dass ich Menschen treffe, die aus einer bundesrepublikanischen Perspektive auf dieses Menschenrecht gucken, weil sie einen eigenen Erfahrungshorizont haben und für sie persönlich dieses Menschenrecht nicht so bedeutsam ist, weil sie sich nicht eingeschränkt sehen in ihrer Glaubensfreiheit oder in ihrer Freiheit entsprechend nicht zu glauben.

Was man aber eben wissen muss, ist, dass für die allermeisten Menschen auf der Welt das ein ganz wichtiges Recht ist und ein Recht, das leider mit Füßen getreten wird in den allermeisten Ländern dieser Welt. Und da wir uns ja nicht nur um die Menschenrechtslage in Deutschland kümmern – das auch –, sondern immer den Anspruch haben, in unserer Menschenrechtspolitik nach außen zu wirken. Deswegen ist es ein zentrales Menschenrecht wie andere Menschenrechte auch. Und deswegen ist es auch gut und wichtig, dass dieses besondere Menschenrecht auch noch mal in der Bundesregierung besonders gewürdigt wird. Sonst wäre es ja auch nicht so, dass es meine Funktion geben würde.

radio horeb 62 % der Menschen weltweit leben in Ländern, in denen das Menschenrecht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit eingeschränkt ist. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der Studie "Religionsfreiheit weltweit 2023", die das weltweite katholische Hilfswerk "Kirche in Not" vor wenigen Wochen vorgestellt hat. Wo sehen Sie denn besondere Herausforderungen in Bezug auf Religionsfreiheit?

Frank Schwabe Naja, wir können die ganze Welt und alle Länder durchgehen. Ich würde sogar sagen, dass die Zahlen eigentlich noch höher sind. Das ist immer die Frage, was das bedeutet, seine Religion frei ausüben zu können oder nicht. Es gibt natürlich Länder, wo das teilweise eingeschränkt ist, und dann gibt es Länder, wo es im Grunde genommen lebensgefährlich ist, wenn man seine Religion ausüben will. Die Länder sind, glaube ich, auch alle ganz gut bekannt. Ein Land wie der Iran vorneweg, wo im Grunde genommen alle Menschen, die nicht oder der falschen Form des Islam angehören, massiv bedrängt werden, wo es Religionsgemeinschaften gibt, die im Grunde genommen überhaupt gar nicht leben können. Sie müssen sich eigentlich verleugnen in ihrem Glauben, sonst können sie gar nicht existieren. Wir sehen aktuell die Bilder und auch die Berichte aus Pakistan, wo es massive Übergriffe gegen Christinnen und Christen gibt. Insgesamt ist Pakistan sicherlich ein Paradebeispiel für ein Land, das durchaus toleranter aufgestellt war in der Religionsfreiheit, aber sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter in die falsche Richtung entwickelt hat. Im Nachbarland Indien ist es nicht anders. In dem einen Land werden im Namen des Islam andere Religionen unterdrückt, in Indien ist es im Namen des Hinduismus. Also leider ist es auf der Welt sehr austauschbar und viele der Religionen sind oftmals in einer Mehrheitssituation und bedrängen andere Religionen, die in der Minderheit sind. Aber das findet man in anderen Ländern dann auch wieder andersherum. Es gibt ein paar Religionen und Religionsgemeinschaften, die eigentlich überall auf der Welt bedrängt und bedroht sind. Dazu gehören die Bahai zum Beispiel oder die Ahmadiyya.

radio horeb Auch in Israel spitzt sich die Lage für Christen immer mehr zu. Es gibt Berichte von öffentlichen Anfeindungen. Der bekannte Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, Nikodemus Schnabel, sprach davon, dass er praktisch jeden Tag angespuckt wird. Wie bewerten Sie denn die gesellschaftspolitische Situation in Israel?

Frank Schwabe Die entwickelt sich in der Tat in eine hochproblematische Richtung. Es ist nicht immer ganz leicht, aus Deutschland heraus die israelische Lage zu bewerten, weil wir das immer vor dem Hintergrund natürlich des Holocaust sehen müssen und überhaupt der Gründung des Staates Israel. Deswegen tun wir uns da immer ein Stück weit schwer. Aber ich glaube, es ist völlig klar: Es gibt keine Kritik am Staat Israel an sich, aber an dieser rechts-nationalistisch auch rechts-religiösen Regierung, die im Grunde genommen intolerant ist gegenüber allen anderen, gegenüber anderen Ethnien, aber eben auch gegenüber anderen Religionen als der jüdischen. Und es ist wichtig, dass wir laut sind und darüber reden, dass das eben zum großen Teil und leider auch zunehmend Christinnen und Christen betrifft. Das war ja vorher schon so. Wir hatten die Situation, dass vor allen Dingen arabischstämmige Christinnen und Christen bedrängt wurden, in Bethlehem zum Beispiel oder in den palästinensischen Gebieten. Aber jetzt haben wir das zunehmend auch im israelischen Kernterritorium. Und das ist hochgradig besorgniserregend. Ich glaube, es ist gut und wichtig und notwendig, dass wir auch noch lauter werden, als wir das bisher als deutsche Bundesregierung sind.

radio horeb Lassen Sie uns auch auf die Situation in Deutschland schauen. Wie bewerten Sie denn hier die Lage in Bezug auf Religionsfreiheit, Stichwort Antisemitismus?

Frank Schwabe Diese Dinge sind immer relativ, und insofern würde ich sagen, dass die Lage der Religionsfreiheit relativ gut ist im Vergleich zu anderen Ländern auf der Welt. Aber auch wir haben Einschränkungen und Bedrängung im Bereich der Religionsfreiheit, und zwar auch wechselseitig. Wir haben eine durchaus antiislamische Stimmung in Teilen der Gesellschaft, wo es eben sehr schwer ist, die islamische Religion ausleben zu können, Moscheen bauen zu können, Minarette bauen zu können und Ähnliches. Aber in der Tat, ich habe es ja gerade schon gesagt, wir haben eine besondere Verantwortung für Deutschland vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte gegenüber dem Judentum. Und es ist unerträglich, dass es sehr schwer ist, gerade zum Beispiel in Berlin, wo ich auch im Bundestag bin und im Ministerium sitze, zum Beispiel mit einer Kippa durch bestimmte Teile von Berlin zu laufen. Das ist eine gefährliche Angelegenheit, und ich glaube, man muss das immer wieder betonen. Bei Religionsfreiheit geht es nicht nur darum, dass man eine Religion haben darf, das ist sowieso klar, sondern man muss eben auch die Religion ausüben können. Man muss sichtbar machen können, welcher Religion man angehört. Und dazu gehören bestimmte religiöse Symbole und eben auch das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken. Und dass das in Frage gestellt ist in Deutschland, ist wirklich etwas, was große Scham bei uns auslösen muss und wo wir alles tun müssen, dagegen vorzugehen. Ich selbst bin in meiner Funktion eher jemand, der nach außen guckt. Deswegen bin ich ja auch im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit angesiedelt. Aber ich arbeite zum Beispiel sehr eng zusammen mit Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten, der einen sehr starken Blick auf die Lage in Deutschland hat.

radio horeb Was macht die Bundesregierung denn, um Gewalttaten, die aufgrund von Religions- und Glaubenszugehörigkeiten passieren, im Inland, aber auch im Ausland zu verhindern?

Frank Schwabe Im Inland ist es wichtig, konsequent vorzugehen. Wir haben natürlich die Gewaltenteilung. Dabei ist klar: Wir brauchen eine klare juristische Sprache in den Gesetzen. Aber auch in der Anwendung der Gesetze muss deutlich werden, dass das keine Kavaliersdelikte sind, sondern Gewalttaten, die auch schon bei Beleidigung anfangen. Da geht es nicht immer darum, dass die Fäuste benutzt werden. Es muss deutlich werden, dass das etwas ist, was es in dieser Gesellschaft nicht geben darf und was überhaupt nicht toleriert wird, wo auch nicht irgendwelche kulturellen oder religiösen Hintergründe besonders berücksichtigt werden. Sondern bestimmte Vorgänge und Angriffe auf Religionen und auf Menschen, die den Religionen angehören, die darf es einfach nicht geben.

Nach außen können wir immer nur zwei Dinge tun. Das eine ist, uns dafür einzusetzen, dass auf internationaler Ebene, auf Ebene der Vereinten Nationen, klare Regelungen und Konventionen, und auch solche Gedenktage wie den heutigen gibt. Das ist ja ein Tag, der durch die Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde. Und was wir noch tun können und müssen, ist, im Dialog mit anderen Ländern die Dinge immer wieder zu thematisieren: auch in einer Zeit, in der sich die Weltlage noch mal zuspitzt, in der wir anhand des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine versuchen, die Welt ein bisschen neu zu sortieren. Und trotzdem müssen wir eine klare Sprache sprechen. Ein Land, wo wir das, glaube ich, sehr klar tun müssen, ist Indien. Wir brauchen Indien weltpolitisch zur Einhegung zum Beispiel Russlands, wir brauchen Indien für den Kampf gegen den Klimawandel und vieles andere mehr. Aber es darf trotzdem keinen Kredit bei Menschenrechtsverletzungen geben, bei Verletzungen des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Aber da ist Indien leider ein Land, wo wir zunehmend eine Tendenz zu solchen Verletzungen sehen.

radio horeb Die Bundesregierung muss aus Sicht des katholischen Hilfswerks missio Aachen mehr gegen eine Verletzung der Religionsfreiheit bei Frauen weltweit unternehmen. Missio Aachen ruft daher aktuell zur Unterstützung der Petition "Stoppt Zwangsehen" auf. Sie soll Ihnen am 13. November überreicht werden. Sehen Sie in diesem Bereich Nachholbedarf?

Frank Schwabe Mir wird oft die Frage gestellt: Ist das Thema Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein Thema, was wirklich ausreichend Aufmerksamkeit in dieser Bundesregierung bekommt? Und meine Antwort ist immer, dass es in der Tat bestimmte Themen gibt, bei denen dieses Thema der Religions- und Weltanschauungsfreiheit besondere Schnittmengen hat mit dem, was diese Bundesregierung „feministische Außen- und Entwicklungspolitik“ nennt. Dabei sollen Frauen in den Mittelpunkt gestellt werden, die Welt stärker aus den Augen von Frauen betrachtet werden, aus der Bedrängung, die sie erleben. Aber nicht nur Frauen, sondern auch andere Gruppen weltweit, die eher schwächer sind, die nicht so wahrgenommen werden, an denen vorbei eigentlich Politik gemacht wird. Und bei dem Thema, das Sie ansprechen, ist es so, dass sich diese Themen – man muss sagen: leider – hervorragend überschneiden, sodass wir uns diesem Thema der Religionsfreiheit von Frauen besonders widmen müssen. Und deswegen ist das etwas, was eigentlich im besonderen Fokus dieser Bundesregierung liegen sollte – und auch liegt.

radio horeb Betroffen von Unterdrückung weltweit sind Angehörige fast aller Religionsgemeinschaften. Sie haben nach Ihrer Ernennung gesagt, es gelte „ein Monitoring zu etablieren, das global ausgerichtet ist, mit dem Ziel, den Opfern religiöser und weltanschaulicher Diskriminierung und Verfolgung eine Stimme zu geben“. Wie steht es denn um dieses Monitoring und wird die Bundesregierung hier vielleicht auch einen Bericht zum Thema Religionsfreiheit veröffentlichen? Erstmals wurde ja ein solcher Bericht 2016 veröffentlicht.

Frank Schwabe Genau, das ist eine der Kernaufgaben des Beauftragten. Herr Grübel, mein Vorgänger hat zwei Berichte vorgelegt, in denen am Ende die Lage in 30 Staaten besonders gewürdigt wird. Es wird jetzt in wenigen Wochen den dritten Bericht geben, also meinen ersten Bericht. Und dort werden wir in der Tat die Länderliste noch einmal deutlich erweitern, wahrscheinlich so um die 40. Ich kann es jetzt noch nicht genau sagen, ich denke so um die 40 Länder werden es sein, weil wir in diesem Bericht eben zwei Dinge tun wollen: Zum einen wollen wir uns bestimmten besonderen Themen des Problems der Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit thematisch widmen, und zum andern haben wir einen Ansatz, direkt in die Länder reinzugucken. Das ist nicht ganz leicht für Deutschland. Man muss aufpassen, dass man sich da nicht übernimmt. Die USA machen ja so einen Bericht, wo sie alle Länder der Welt nicht nur beschreiben, sondern am Ende sogar klassifizieren. Man muss aber sehen, dass die USA dazu viel, viel mehr Kapazitäten haben. Da gibt es Hunderte von Mitarbeitenden der Regierung der Vereinigten Staaten, die sich darum kümmern. Ich habe in meinem Büro nur eine Handvoll Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich kann natürlich auf die Botschaften zurückgreifen, aber ich muss immer aufpassen, dass ich mich nicht übernehme in der Bewertung. Am Ende ist es ein Bericht der ganzen Bundesregierung. Aber ja, wir werden diesen Ansatz weiterführen und auch ausbauen im nächsten Bericht.

radio horeb Toleranz und Respekt – beides Werte, die eine wichtige und grundlegende Bedeutung in unserer Gesellschaft haben. Und doch merkt man in der Gesellschaft allgemein, aber mehr und mehr auch im persönlichen Umfeld, im persönlichen Bereich, dass mittlerweile viele Themen polarisieren. Verlernt die Gesellschaft hierzulande, unterschiedliche Meinungen auszuhalten?

Frank Schwabe Ja, es ist schwierig, ich glaube, weil wir eine Art Fragmentierung der Gesellschaft haben. Wir haben wenige Plattformen, zum Beispiel mediale Plattformen, auf denen wir uns alle bewegen. Früher war das irgendwie klar: Man guckt die Samstagabendshow im ZDF oder in der ARD, man hat bestimmte lokale Tageszeitungen gelesen und am nächsten Tag konnte jeder genau darüber reden. Und heute ist es eben immer stärker so, dass die Leute nur noch sehr spezielle Medien nutzen, sich in einer Blase bewegen, wo sie sich mit den Themen beschäftigen, die ihnen wichtig sind und auch nur eine bestimmte Sichtweise mitbekommen und gar nicht mehr diese anderen Sichtweisen. Und ich glaube, das ist eine zentrale Aufgabe von Politik, darüber nachzudenken: Wo sind denn eigentlich noch diese Orte, wo sich Menschen begegnen? Meine Aufgabe sehe ich ein Stück weit darin, im Bereich der Menschenrechtsszene so unterschiedliche Welten zusammenzubringen. Deswegen versuche ich, im engen Dialog zu sein mit den Organisationen, die Sie schon genannt haben: "Kirche in Not", "Open Doors" und andere, die sich sehr stark mit der Verfolgung von Religion oder religiösen Akteuren beschäftigen, Christinnen und Christen, aber auch mit den Menschenrechtsorganisationen, die einen umfassenderen Blick haben wie Amnesty International und Human Rights Watch. Und ich versuche, diese Sichtweisen zusammenzubringen und einen ganzheitlichen Blick auf den Menschenrechtskanon insgesamt zu entwickeln. Das würde ich von den christlich oder kirchlich organisierten Menschenrechtsorganisationen erwarten. Ich hätte aber auch gerne, dass zum Beispiel Amnesty International und Human Rights Watch den Bereich der Religions- und Weltanschauungsfreiheit stärker in den Blick nehmen. Das ist mein Beitrag, diese unterschiedlichen Blasen dieser Menschenrechtsdebatte zusammenzubringen, um daraus einen fruchtbaren Diskurs zu erzeugen.

(Bild: photothek.net, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)